Motivation

WESHALB WIR IN DIE GÄNGE GEKOMMEN SIND

Hamburg ist eine schöne Stadt, doch das hat den Regierenden selten gereicht:
Die Schönste und Strahlendste soll sie sein im internationalen Städtevergleich, ein Magnet für Konzerne und Touristen. Dieser Prämisse wird seit Jahrzehnten die Stadtentwicklung untergeordnet. Hamburg wurde zum Unternehmen umgebaut und als „Talentstadt” beworben, dann wurde die „wachsende Stadt” propagiert – mit dem Ergebnis, dass immer mehr Raum von Handel und teuren Wohnungen verschlungen wird. Die Stadt steckt Millionen in Großprojekte statt in Bauten, die den Bürgern Hamburgs zu Gute kommen. Grundstücke werden an Investoren vergeben, die einzig an Profit interessiert sind – und nicht am Wohl derjenigen, die mit ihren Projekten leben müssen. Krankenhäuser, öffentliche Gebäude, Grünanlagen und Freiflächen werden zu Höchstpreisen verkauft, um wachsende Haushaltslöcher zu stopfen. Dem lebendigen Gemeinwesen geht die Luft aus, es wird erstickt.


Inzwischen sind selbst die letzten Nischen und Freiräume gefährdet, für immer verloren zu gehen. Die Hamburger Innenstadt ist ein menschenunwürdiger Ort geworden, an dem nichts anderes möglich ist als Konsum und Event. Überall in der Stadt schwinden öffentliche Räume und alte Gebäude, an ihrer Stelle wächst glatte Investoren-Architektur. Glas, Stahl und Beton verdrängen für Stadtviertel charakteristische Bauten – und schlimmer noch: Menschen. Immer mehr finanziell schwächere Einwohner werden an den Stadtrand vertrieben. Weil Mietwohnungen in Eigentum umgewandelt werden, der soziale Wohnungsbau stagniert und Mieten steigen. Hamburg wird luxussaniert, verdichtet und nach Einkommen aufgeteilt.


Diese Entwicklung betrifft auch Künstler.


Denn auch Räume für die freien Szenen werden immer seltener. Die abseitigen, unsanierten Orte, die noch bezahlbaren Räume verschwinden. Und das, obwohl die Stadt mehr als genug Leerstand zu bieten hat. Gleichzeitig werden Fördermittel gestrichen oder nur noch an Projekte vergeben, die sich von der Stadt zur Imagesteigerung nutzen lassen. Künstler sollen von Politik und Stadtplanung instrumentalisiert werden als Werkzeug zur „Aufwertung” von Stadtvierteln, als Durchlauferhitzer für Gentrifizierung. Sie sollen gezielt auf zu entwickelnde Stadtteile verteilt werden und dort eine neue Zwischenheimat finden – bis das nächste Quartier investorenfreundlich umgestaltet werden soll.


Da machen wir nicht mit. Wir wollen nicht dazu beitragen, gewachsene Nachbarschaften zu verdrängen und nach getaner „Arbeit“ weiterzuziehen. Der Widerstand gegen diese Politik hat uns in die Gänge gebracht zu einem Zeitpunkt, an dem der Unmut der Bürger an vielen Orten der Stadt sichtbar wurde. Denn wir sind nicht alleine: Viele Hamburger kämpfen in ihren Vierteln um Atelierräume, Freiflächen, öffentliche Räume oder bezahlbare Wohnungen. „Recht auf Stadt”: Das ist eine Forderung, die immer lauter wird. Unter anderem, weil die Stadt seit Jahren die Beteiligung der Einwohner an Entwicklungsprozessen unmöglich macht, Bürgerentscheide willkürlich vom Tisch fegt, Informationen vorenthält und die Zukunft Hamburgs hinter verschlossenen Türen plant.


Der Umgang der Stadt mit dem Gängeviertel passt in dieses Bild. Die Gebäude wurden trotz Denkmalwürdigkeit jahrelang dem Verfall preisgeben und letztlich zum Höchstgebot an einen Investor vergeben, dessen Planungen ein Zeugnis Hamburger Geschichte unwiederbringlich zerstört hätten. Als absehbar war, dass dieser zur Tat schreiten und die Häuser den Winter nicht überleben würden, sind wir am 22. August 2009 in die Gänge gekommen, haben sie besetzt und begonnen, mit der Stadt über ihre Zukunft zu verhandeln. Um das Viertel zu retten für die Bewohner Hamburgs. Um mitten in der Innenstadt ein Zeichen zu setzen – an einem Ort mit großer Vergangenheit, der keine Zukunft mehr haben sollte.


Wir sind die Initiative „Komm in die Gänge”. Wir sind Maler, Stadtplaner, Grafiker, Illustratoren, Köche, Designer, Sozialarbeiter, Gold- und Silberschmiede, Hilfsarbeiter, Fotografen, Architekten, Webdesigner, Elfenbeinschnitzer, Polsterer, Tischler, Gärtner, Dichter, Hartz IV-Empfänger, Projektentwickler, Altenpfleger, Geiger, Lehrer, Eventmanager, Wissenschaftler, Regisseure, Restauratoren, Autoren, Psychologen, Gas-Wasser-Installateure, Kameraleute, Installations-, Performance-, Konzept- und Lebenskünstler, Heilpädagogen, DJs, Streetartists, Bühnenbildner, Glasbläser, Musiker, Programmierer, Holz-, Stein- und Metallbildhauer, Beleuchter, Masseure, Dramaturgen, Pädagogen, Licht- und Nichtkünstler, Sattler, Schriftsteller, Medienkünstler, Studierende, Messebauer, Sinologen, Buchbinder, Stipendiaten, Einzelhandelskaufleute, Modedesigner, Sänger, Kindergärtner und Biogemüsehändler.


Wir sind viele und werden täglich mehr.
Wir sind die Stadt, denn:
Die Stadt sind wir alle.